Teil III

von Ute Darmer

Ab der 5. Klasse kommt die Zeit, in der auch in der Eurythmiestunde ein Mitmachen in der Hülle der Gemeinschaft allein nicht mehr ausreicht. Die Kinder wollen – und sollen – ihr „Handwerk” selbständig beherrschen lernen. Dafür wird nun das Fach „Eurythmie” zweimal in der Woche angesetzt, während es für die Klassen 1 – 4 nur einmal wöchentlich stattfand.

Wie gehen wir jetzt vor? Zunächst muss jedem Einzelnen klar sein, an welchen Sprach-  Laut- oder Musik -Tongebärden er/sie gerade übt. Auch in der Körpergeschicklichkeit sind die Kinder jetzt so weit, Schritt für Schritt selbst kompliziertere und längere Übungsabläufe eigenaktiv zu erüben und sich einzuprägen. Als „Werke” werden Gedichte und Musikstücke mit Choreographie und Gebärden erarbeitet, die wir zu bestimmten Gelegenheiten auch gerne den Eltern oder auf Monatsfeiern der Schulgemeinschaft zeigen. Solche Ziele, Erlerntes zu präsentieren, sind notwendig; sie regen die Kinder von der Sache her an, ihren Part im Ganzen ernsthaft bis zum Können zu bringen.

Auch in den Jahren 6. bis etwa 8. Klasse steht ein inneres Ziel hinter dem Eurythmieunterricht. Nun setzen große körperliche Veränderungen ein mit dem Heranwachsen der Kinder: Arme und Beine werden länger, der Atem gestaltet sich noch einmal um, die Pubertät setzt ein. Die eigene Seele der Kinder erwacht, meldet ihre Bedürfnisse an, möchte schon groß sein, ist aber gerade jetzt stark einem „Gefallen” oder „Missfallen” ausgeliefert. Wie lerne ich – Kind – das alles zu steuern, neu zu ergreifen? Nach einer schönen Harmonie und gutem Vorankommen im 5. und noch Anfang des 6. Schuljahres treten jetzt Hemmnisse auf, die manches Kind auch unsicher werden lassen.

Hier erinnern wir uns an die selbsterziehende Wirkung des Eurythmiemachens. Es bedarf seitens der Lehrerin der künstlerischen Phantasie, einen guten Weg zwischen Schwung und ganz still – Sein zu finden. Ist das körperliche, eigengestaltete Bewegen zur Zeit mit einigen Mühen verbunden, so können dennoch Momente bei dem stillen Üben an musikalischen oder Sprach – Lautgebärden auftreten, die eine innerlich sehr dichte Stimmung im Raum schaffen. Diese Momente stärken und tragen über Schwierigkeiten hinweg. Sicher haben es einige Schüler/innen in diesem Alter auch schwer, sich zu einem innerlich Anteil nehmenden Arbeiten dieser künstlerischen Art „aufzuschwingen”. Dennoch erleben sie dieses Üben, vollziehen es – zeitenweise durchaus sparsam – mit, sind im Prozess dabei. Ein Vertrauen auf die innewohnende Individualität muss uns anderen helfen, dennoch kräftig weiterzumachen.

Kommen wir nun zu den oberen Jahrgängen in der Schule. In der Waldorfschule beginnt die Oberstufe schon im 9. Schuljahr. Warum? Weil hier – die Schüler/innen sind nun 14 – 15 Jahre alt – tatsächlich ein Wendepunkt liegt. Traten mir die Siebt – Achtklässler noch mit einer Art „Erinnerung an früher im Leben” entgegen, so wollen die Schüler/innen in der 9. Klasse voran, sie schauen oder besser : sie fühlen nach vorne. „ Wie kann ich ein Vorankommen nur erreichen?” scheint mir zuweilen in den Gesichtern entgegenzutreten.

Alle bis jetzt kennengelernten eurythmischen Elemente – und derer können je nach Beschaffenheit einer Klasse eine ganze Reihe sein (darauf hier einzugehen, sprengt den Rahmen) – werden nun neu aufgegriffen. Und dies durchaus ähnlich wie bei Eurythmiestudenten, denn die Schüler/innen wollen verstehen, was sie da tun. Auch wenn ein umfassendes Verstehen altersgemäß noch nicht möglich ist, sie fühlen sich sehr wohl ein in das, was sie durch die Lehrerin erfahren oder mit ihr im Gespräch erarbeiten. Sie spüren: das, was ich hier tue, hat einen Zusammenhang mit der Welt, in der ich lebe, auch wenn ich manches jetzt erst einmal hinnehme.
Eine Art von Ernten vollzieht sich dann in den Klassen 11 und 12. Es ist manchmal tief ergreifend, wenn Schüler/innen nun auch aussprechen können, was sie an unserem eurythmischen Arbeiten erleben. Und mancher „Schlawiner” aus früheren Jahren zeigt jetzt, was tatsächlich in ihm „steckt”. Zunehmend selbständig üben sie nun, merken dabei, wie das innerlich Umfassen – Können z. B. eines Musikstückes zuweilen gar nicht so leicht ist. Dann kommt man gern wieder zur Lehrerin, die an dieser Stelle (hoffentlich) eine weiterführende Idee hat. Und wie schön die Entdeckung, dass nun jahrelang Erübtes zur Verfügung steht und man eigenständig Künstler werden darf. Ein gesundes Selbstbewusstsein ist gewachsen. Ein Schüler am Ende der 12. Klasse sprach das in etwa so aus: „Ich kann jetzt eine Sache wie die Eurythmie vor Leuten, die sie nicht kennen, vertreten, ohne verlegen zu werden. Damit weiß ich, dass ich mich auch selbst präsentieren kann.“

So will der Eurythmieunterricht durch alle Altersstufen hindurch ein Begleiter sein, der den Schülern hilft, selbst ihren inneren Entwicklungsweg in die Hand zu nehmen. Darin liegt auch das Neue dieses Unterrichtes: Das Meiste, das wir durch ihn in unserem eigenen Bewegen und Üben erfahren, betrifft uns in unserer ureigensten Persönlichkeit, die in ein Verhältnis tritt zu der Welt, in der wir leben.

Glückauf auf diesem spannenden Weg!