Mit diesem Bericht möchte ich Ihnen einen kleinen Einblick in die Zweitklassuntersuchung, ihren Hintergrund, den Inhalt und den Ablauf geben. 

Wie an vielen anderen Waldorfschulen ist auch bei uns in Mönchengladbach die Zweitklassuntersuchung seit vielen Jahren ein etabliertes Konzept, bei dem der Übergang in das zweite Jahrsiebt ganzheitlich im Fokus steht. Dabei geht es darum, Lernschwierigkeiten rechtzeitig zu erkennen und den Kindern möglichst früh sowohl die entsprechende pädagogischen als auch therapeutischen Unterstützungen zukommen zu lassen. 

Mit Hilfe dieser Untersuchung ist es wichtig, unseren Blick zu schulen und im Sinne der anthroposophischen Menschenkunde die Frage zu beantworten: „Auf welche Weise hat der Ätherleib unter Leitung des Ichs und des Astralleibes den physischen Leib bereits durchgestaltet und inwieweit sind die leibesbildenden Kräfte schon für das Denken frei geworden?“ (Vgl. Stefan Leber: Die Menschenkunde der Waldorfpädagogik, Stuttgart 1993) 

In der Zweitklassuntersuchung nehmen wir das Kind wahr – in der Art, wie es diesen Übergang gemeistert hat. Es hat seine ersten Erfahrungen im Schreiben und Lesen machen können. Es hat die Grundrechenarten kennen gelernt und sich bis in den Hunderterraum hinein beschäftigt. Die damit verbundenen Lernprozesse spiegeln die Entwicklung der Sinneswahrnehmung im ersten Jahrsiebt wider. Dazu gehören die motorischen Entwicklungen, ganz besonders die der Feinmotorik, die Entwicklung des Gleichgewichts, der Seh- und Hörverarbeitung, die Grobmotorik und Koordination. 

Weitere Bestandteile der Zweitklassuntersuchung betreffen die Orientierung in der Zeit: Welcher Tag ist heute, morgen, übermorgen etc.?  und auch die Dominanz: Welche Seite benutzt das Kind beim Schreiben, mit welchem Ohr lauscht es oder welcher Fuß wird bevorzugt? 
Zusammengefasst besteht der Beobachtungsbogen aus fünf Teilen:
1. Motorische Fähigkeiten
2. Auditive Fähigkeiten, welche die Grundvoraussetzungen zum Lesen- und Schreibenlernen sind (zum Beispiel die auditive Synthese, d.h. die Fähigkeit, Laute zu einem Wort zusammenzufügen)
3. Dominanz
4. Koordination und Orientierung
5. Reihenfolge
Mit diesem ganzheitlichen Blick auf das Kind nehmen wir den Lernprozess des Kindes wahr. Es geht keinesfalls darum, Defizite am Kind festzustellen, die man „weg“- therapieren muss, sondern um die Frage, in welchen Bereichen das Kind noch Unterstützung braucht. Es werden gemeinsam mit der Klassenlehrerin und dem Therapiekreis der Schule entsprechende Bewegungs- und Lernangebote bzw. pädagogische und didaktische Maßnahmen entwickelt, um das Kind gezielt in der Entwicklung zu begleiten.

Diese können intern an der Schule stattfinden, wie zum Beispiel die Heileurythmie, die Kunsttherapie, Förderarbeit in der Extrastunde, Begleitmaterial oder Maßnahmen im Unterricht. Es wird auch externe Vorschläge zu Unterstützung des Kindes geben: Sprachgestaltung, rhythmische Massage, Ergotherapie, therapeutisches Reiten, Klettern, Kampfsport. 

Die Zweitklassuntersuchung findet nach den Osterferien in allen Jahrgängen der zweiten Klasse statt. Von montags bis mittwochs in einem Zeitraum von 8.15 – 11.45 Uhr hole ich die Kinder einzeln aus dem Unterricht ab und nutze dabei die Räumlichkeiten der Mittelstufe. Die Übungen bestehen abwechslungsreich aus Bewegung, Rechnen, Lesen, Schreiben und Malen. Kurz vor den Sommerferien ist die Zweitklassuntersuchung abgeschlossen. 

Die Wahrnehmung eines Kindes dauert zwei Unterrichtstunden. Anschließend werde ich mich mit der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer über jedes einzelne Kind austauschen und gemeinsame Überlegungen zur Unterstützung und sinnvollen Begleitung des Kindes anstellen. Außerdem nehme ich die Überlegungen mit in den Therapiekreis, der sich aus internen und externen Mitarbeiter/-innen zusammensetzt. Nähere Informationen zum Therapiekreis finden Sie auch auf unserer Internetseite. 

Soweit ein kleiner Ausschnitt aus der Zweitklassuntersuchung an unserer Schule. In weiteren Berichten, werde ich näher auf die Sinneslehre Rudolf Steiners eingehen, welche in den unteren Klassen an unserer Waldorfschule gepflegt wird. 

Mira Riedel
Förderlehrerin der Klasse 1-4
(Die Fotos zeigen nachgestellte Szenen mit Frau Riedel und ihrer Tochter)