Jüngste Enthüllungen einer Ex-Mitarbeiterin von Facebook haben eine hitzige Debatte über die Gefahren von Social Media für unsere Kinder und Jugendliche ausgelöst. Zu Recht? Der Medienpädagoge der Freien Hochschule Stuttgart, Dr. Robert Neumann, sagt, wir müssen akzeptieren, dass soziale Netzwerke Teil unseres täglichen Lebens sind. Die Waldorfpädagogik könne jedoch eine Menge dafür tun, dass die Nutzung selbstbestimmt und gesund ist. Die Wochenbrief-Redaktion hat mit ihm gesprochen.

1. Herr Dr. Neumann – Besonders bei Kindern (63%) und noch mehr bei Jugendlichen (89%) laufen soziale Kontakte über Social Media ab. Doch wie „Social“ sind soziale Medien überhaupt?
Das ist eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Kinder und Jugendliche nutzen diese natürlich, auch weil sie Spaß am Spielen und Ausprobieren haben und viele der Social Media Apps Zusatzfunktionen bieten, die genau dieses Bedürfnis bedienen. Auf der einen Seite kann man damit soziale Kontakte halten, pflegen und diese nutzen, auf der anderen Seite sehen wir aber auch die Schattenseiten, die dadurch entstehen können: wie Cybermobbing, oder auch Cybergrooming – also das gezielte Ansprechen meist Minderjähriger durch Erwachsene über Social Media Apps, während man die eigene Identität versteckt. So etwas ist im „realen“ Raum sehr viel schwerer möglich. Diese Aspekte haben Erwachsene in der Regel weniger im Blick, sie sind aber Teil der Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen und wir sollten schauen, wie wir diese daher unterstützen können.

2. Wie könnte eine solche Unterstützung aussehen?
Derzeit sitze ich an einem Konzept über „Digitale Sebstverteidigung, das Kindern und Jugendlichen helfen soll, zu lernen, ihre Grenzen im online-Raum zu ziehen. In den nächsten Monaten wird ein Kapitel dazu in einem Buch über Medienpädagogik erscheinen.

3. Die Gefahren, die von Social Media ausgehen, sind real – aber sehen Sie als Medienpädagoge auch Chancen in der Nutzung dieser Kanäle?
Ich denke, es ist wichtig, dass wir zuerst einmal akzeptieren sollten, dass Social Media ein Teil unseres täglichen Lebens ist, ob wir das gut finden oder nicht.
Wenn man zu einen ausgewogenen Umgang mit Social Media findet, können diese das Leben auch bereichern. Man kann mit anderen Menschen unaufwändig in Kontakt bleiben, auch wenn diese an einem anderen Ort sind oder sich schnell austauschen. Wie bei vielen anderen Dingen ist es vor allem das Ausmaß, in dem diese benutzt werden, das wichtig ist.

4. Könnte es einen kreativen und gesunden Umgang in der Nutzung geben?
Ja, das denke ich schon, man sollte sich ja auch als Erwachsener immer mal wieder die
Frage stellen: Benutze ich die Anwendung so, dass ich jederzeit auch mal eine Weile ohne auskommen könnte. Das ist zwar erst mal nur etwas „über den Daumen gepeilt“, aber eine gute Einschätzung, wie selbstbestimmt der Umgang ist. Ich denke, genau dieser selbstbestimmte Umgang sollte das Ziel unseres Unterrichts sein.

5. Wie kann die Waldorfpädagogik Kinder und Jugendliche im gesunden Umgang mit Sozialen Medien unterstützen?
Es gibt mehrere Aspekte, wie in der Schule das Thema aufgegriffen werden kann. Zum ei-
nen kann im konkreten Unterricht das Thema aufgegriffen werden. An der Freien Hochschule in Stuttgart, wo ich auch tätig bin, entwickeln wir im Moment einen „Medienführerschein“, der in der Mittelstufe gemacht werden kann. Ähnliche Projekte gibt es auch an staatlichen Schulen, wir adaptieren diesen an die Waldorfschule.
Die Schule kann aber insgesamt auch versuchen, im Sinne einer Suchtprävention zu wirken. Ein Thema dabei ist ja z.B. wo Kinder und Jugendliche Selbstwirksamkeit und Anerkennung erfahren. Hier bieten die vielfältigen Unterrichte und gerade auch der handwerklich-künstlerische Unterricht an der Waldorfschule viele Möglichkeiten.

6. Was empfehlen Sie WaldorflehrerInnen? Eine Epoche „Medienkompetenz“?
In der 6. oder 7. Klasse kann man mit der Klasse z.B. das Projekt eines „analogen sozialen Netzwerks“ durchführen. Das ist von einer Informatiklehrerin an einer Waldorfschule
entwickelt worden und greift das Bedürfnis der SchülerInnen in diesem Alter nach Austausch auf. Die SchülerInnen haben dann z.B. „Briefkästen“ gebastelt und Likebuttons gezeichnet. Das Netzwerk war eine große Pinnwand, das wurde auch gut angenommen. Das Projekt bietet es den Beteiligten einen geschützten Rahmen, indem man auftretende Schwierigkeiten wie z.B. anonyme Botschaften gleich thematisieren kann, diese aber durch den analogen Charakter noch besser handhabbar sind.
Ansonsten ist es auch hilfreich und sinnvoll das Thema regelmäßig zu thematisieren, auch in den Betreuerstunden der Oberstufe und da regelmäßig einen Anlass zu geben, sich Gedanken über die eigene Mediennutzung zu machen.

7. Während in den Regelschulen es mittlerweile bereits in der Primarstufe ein Fach „Medi-
en“ gibt, steigen Waldorfschulen erst später ein, wenn überhaupt. Sollte sich das ändern?

Grundsätzlich haben wir die Haltung, dass die Nutzung von digitalen Medien erst ab der 6. oder 7. Klasse sinnvoll ist. Das machen wir aus der Erkenntnis heraus, dass Kinder erst in diesem Alter über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, Dinge beurteilen zu können. Nebenher bemerkt ist das auch das Alter, ab dem man rechtlich ein Konto bei allen Social-Media-Anbietern einrichten darf. Vorher haften die Eltern im kompletten Umfang für alles. Das machen sich viele Eltern nicht klar.