DIE 12 SINNE IN DER WALDORFPÄDAGOGIK
DER ICHSINN UND GEDANKENSINN

Nun komme ich zum letzten Beitrag in der Reihe der 12 Sinne von Rudolf Steiner,  dem Gedankensinn und dem Ichsinn, die beide zu den Erkenntnissinnen, also den oberen Sinnen, gehören.

Mit den unteren Sinnen werden die Leiblichkeit und die innere Orientierung bewusst. Die mittleren Sinne wie der Geruchssinn, der Geschmackssinn, der Sehsinn und der Wärmesinn ermöglichen dem Menschen, sich mit der Welt zu verbinden.  Der Gedankensinn und der Ichsinn lassen uns mit anderen Menschen in Verbindung treten und beide entwickeln sich bis zum Ende der Jugendzeit.
Der Ichsinn ist nicht gleichzusetzen mit der Entwicklung in den ersten Lebensjahren der Kinder, wenn sie beginnen „Ich“ zu sich zu sagen.

Förderlich für die Entwicklung des Ichsinns und Gedankensinns ist es, die Kinder in dem Bewusstsein ihrer selbst zu stärken. Das machen wir, indem wir den Kindern einfühlsame Fürsorge, Schutz, Nähe und Aufmerksamkeit schenken. Ein regelmäßiger Tagesablauf, Wochen- und Jahresrhythmus, was besonders in der Waldorfpädagogik stark im Vordergrund steht, tragen dazu bei, dass die Kinder sich in Sicherheit wiegen. Es  ist ein wichtiger Baustein, um ihr Selbstvertrauen in der Entwicklung zu stärken.

Mit Beginn der Schulreife sind die unteren und mittleren Sinne so weit entwickelt, dass es nun für Eltern und Lehrer*innen darum geht, festzustellen, wie weit die Kinder sich bereits in der eigenen Leiblichkeit kennengelernt haben und wie gut sie auf die kommenden Lernprozesse vorbereitet sind.

Die meisten Schulkinder laufen nicht mehr nachahmend ihren Bezugspersonen hinterher, viel mehr laufen sie vor, hüpfend auf einem Bein, fröhlich als eigenständige Person. Sie sind  bereit durch eine gut ausgereifte Entwicklung der unteren und mittleren Sinne, die eigene Wahrnehmung auch auf ihre Mitmenschen zu lenken.
Um 7.30 Uhr,  wenn sich die Türen der Waldorfschule Mönchengladbach öffnen, werden alle Schüler*innen mit einem wärmenden Handschlag, einem Blick in die Augen des Kindes an der Klassentür von dem/der Klassenlehrer/in begrüßt. Die erste Wahrnehmung, der erste Kontakt zu den Schüler*innen gibt uns einen kurzen Einblick, wie es dem Schüler an diesem Tag geht. Zudem fördert es die Entwicklung des Ichsinns der Kinder, nämlich das Wahrnehmen unserer Mitmenschen.

Auch hier ist es wieder von großer Bedeutung, welche Fähigkeiten bis hierhin erlangt worden sind. Ist das Kind bewegungskoordiniert, sicher in der Körpergeographie, raumorientiert, kann es sich visuell in einer Zwei – und Dreiräumlichkeit bewegen? Diese Sicherheit, die im ersten Jahrsiebt erlangt wird, benötigen die Kinder für das schulische Lernen und sie befähigt sie dazu, mit einer gewissen Sicherheit seine Mitmenschen wahrzunehmen.

Der Gedankensinn befähigt, zu verstehen und zu begreifen, was hinter dem gesagten Worten steht. Es geht darum, durch aufmerksames Zuhören, sich Gedanken über die gehörten Worte zu machen und in die Gedanken des Gegenübers einzudringen. Ebenfalls zu den Eigenschaften des Gedankensinns gehören, seinem Gegenüber seine eigenen Gedanken und Ideen zu dem Gesprochenem mitzuteilen, so dass sich ein Austausch entwickeln kann. 

Der Blick in die Augen unserer Mitmenschen gibt uns einen kleinen Einblick in die Seele unserer Mitmenschen. Durch den gemeinsamen Austausch wirkt ein Zusammenspiel, bei dem der Ichsinn und Gedankensinn eine große Rolle spielen. Die Fähigkeit sich zu öffnen, empathisch seinem Gegenüber zu sein, sich in ihn hineinzuversetzen und Ideen in seinem Gegenüber zu wecken, ist eine großartige  Fähigkeit.

Ich hoffe, dass ich Ihnen einen kleinen Einblick in die 12 Sinne in Bezug auf die  Entwicklung Ihrer Kinder geben konnte. Sicher erschließt sich Ihnen jetzt, warum in der Waldorfpädagogik unter anderem Eurythmie, Werken, Gartenbau, und Handarbeit gelehrt wird und das Sähen des Korns ebenso eine Rolle spielt.

Alle Berichte sind weiterhin auf der Homepage zu lesen. Wer noch weiter in das Thema der 12 Sinne eintauchen möchte, dem empfehle ich folgendes Buch: „Die zwölf Sinne, Tore der Seele“ von Albert Soesman.

Ich freue mich weiterhin auf die Arbeit mit den Kindern und den Austausch mit Ihnen, selbstverständlich stets mit einem ganzheitlichen Blick auf die Schüler*innen.

Mira Riedel
Förderlehrerin, 1.– 4. Klasse